Deutschland steuerte seit Sonntag auf den Mittwoch beginnenden Lockdown zu und bis zur letzten Minute war niemandem klar, was das für die Werkstätten bedeuten könnte. Noch im Frühjahr, bis in den Sommer hinein, gab es Betretungsverbote um die vulnerable Gruppe der behinderten Menschen adäquat schützen zu können. Dabei war oftmals nicht nur die körperliche Gefahr einer Ansteckung, sondern insbesondere auch psychische Gründe (Folgen) ausschlaggebend: beginnend von akuten (Ansteckungs-)Ängsten, über Zwänge oder Psychosen, die oft eng mit der beklemmenden Pandemie-Situation verknüpft sind, bis hin zu dem nicht zu unterschätzenden Thema der Depression und all ihrer Folgen.
Vermutlich auch wegen der oben genannten Gründe entschied sich das Land NRW, wie auch einige andere Bundesländer, die Werkstätten offen zu lassen – das Recht auf Teilhabe am Arbeitsleben, aber auch die Gefahren, die bei geschlossenen Werkstätten drohen (ein Mangel an Betreuung und psychiatrisch/sozialer/pädagogischer Unterstützung) und die finanziellen Sorgen der jeweiligen Leistungserbringer waren zu hohe Hürden, um sie einem vorschnellen Aktionismus („Lockdown jetzt!“) zu opfern.
Die Landschaftsverbände LVR und LWL versprachen zeitnahe Kompromisse und Lösungsvorschläge für Werkstattbeschäftigte, die durch das vom Land beschriebene Raster („Jeder hat einen gesetzlichen Anspruch darauf in die Werkstatt zu kommen, trotz Lockdown“) zu fallen drohten – die Email, die von den beiden Verbänden an die Werkstätten rausging, war jedoch äußerst vage und kaum rechtsicher für die Werkstätten und Beschäftigten. So heißt es:
Um aber eine weitere Reduzierung der Anwesendenzahlen in der WfbM zu fördern, können folgende Maßnahmen umgesetzt werden:
– Noch vorhandener Resturlaub soll genommen werden.
– Soweit es sich um Erkrankungen handelt, werden AU-Bescheinigungen eingereicht.
– Sollten bei Werkstattbeschäftigten begründete Infektionsängste bestehen, können in der Zeit bis zum 10. Januar 2021 die Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in anderer Form an anderem Ort erbracht werden. Dazu gehören wie im Frühjahr und Sommer 2020 das Kontakthalten per Telefon, neue
LVR-Dezernat SozialesnMedien oder durch Hausbesuch und die Bereitstellung von Arbeit und Beschäftigung im häuslichen Umfeld. Stimmen Sie diese individuellen Lösungen mit den Angehörigen bzw. den Wohndienstleistern ab. Eine Einbindung des LVR ist ausnahmsweise nur im Konfliktfall angeraten.
Damit wird die Verantwortung größtenteils auf die Beschäftigten abgewälzt. Wie schon bei den Kindergärten und Schulen wird einfach grob und schwammig formuliert: „Kommen sie nicht, halten sie sich streng an den Lockdown! Wie sie das regeln (finanzieren!) bleibt ihnen überlassen!“. Im Falle der Werkstätten also: „Nehmen sie Urlaub, lassen sie sich krankschreiben oder hoffen sie darauf, dass wir sie bei berechtigten Ängsten und Sorgen freistellen“.
Das ist von einer Lösung weit entfernt und die Ministerien, Verbände und Träger machen es sich sehr leicht. Von einer mittel- und langfristigen Vorgehensweise oder gar Strategie möchte ich schon gar nicht sprechen: Bei gleichbleibenden oder gar steigenden Infektionszahlen nach Neujahr muss sich die Politik schon etwas besseres ausdenken.